Entwicklungen im Freiburger Industriegebiet Nord

Lesen Sie den Artikel auch im Netzwerk Südbaden vom 09.05.2022 https://www.netzwerk-suedbaden.de/entwicklungen-im-freiburger-industriegebiet-nord/

Ein 16 Hektar großer Teil vom Gelände des Filterherstellers Cerdia im Freiburger Gewerbegebiet Nord lag seit Jahrzehnten brach. Vor anderthalb Jahren hat die städtische FWI die Fläche gekauft und erschließt sie nun. Noch dazu im Paket mit Fernwärme.

Hinter dem Maschendrahtzaun gegenüber der Möbelmeile erstreckt sich eine große freie Fläche. Fern von Menschen und Maschinen haben sich hier Eidechsen, Heuschrecken und andere geschützte Tiere jahrzehntelang wohl gefühlt. Dabei gehört das Grundstück zu einem der wichtigsten Industriestandorte Südbadens, dem Industriepark Freiburg Nord.

1971 hatte es die damalige Firma Rhodia als potenzielle Erweiterungsfläche gekauft, größtenteils aber nie genutzt. Nur der Sportverein „Solvay Sportpark“ und die sogenannte Polyesterhalle belegen einen Teil des Geländes. 16 der 22 Hektar, die das Chemieunternehmen seinerzeit von der Stadt übernommen hatte, liegen brach – trotz wiederholter Versuche aus dem Rathaus, die Fläche zurückzukaufen. Sagt Thomas Stoffel, Geschäftsführer der Freiburg S-Wirtschaftsimmobilien GmbH & Co. KG (FWI).

Sie ist als gemeinsame Tochter der Freiburger Wirtschaftsförderung (FWTM) und der Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau für Entwicklung und Vermittlung von Gewerbeflächen in Freiburg und der Region zuständig. Rhodia, Solvay, Cerdia: Mit den Eigentümern wechselten seit 2011 die Namen des Traditionsunternehmens, das 1927 in Freiburg die Produktion von Kunstseide begonnen hat, die in erster Linie für Zigarettenfilter verwendet wird. Als einer der wenigen Industriebetriebe prägte Rhodia die Stadt. Zu Hochzeiten beschäftigte sie in Freiburg mehr als tausend Mitarbeiter, der chemisch ausgelöste Rhodia-Schnee zu Unzeiten im Freiburger Norden ist legendär.

Die Chemiefabrik schrumpft, aber investiert

Seit 2016 gehört Rhodia alias Solvay, wie es unter seinem bel-gischen Besitzer hieß, der US-Beteiligungsgesellschaft Blackstone und firmierte 2019 in Cerdia Produktions GmbH um. Der jüngste Eigentümerwechsel brachte wohl die Wende in Sachen Grundstücksverkauf – im Sommer 2020 vermeldete die FWI den erfolgreichen Abschluss. Zum Preis äußern sich beide Seiten nicht. Im Cerdia-Geschäftsbericht 2020 ist von „rund zwölf Millionen Euro“ die Rede.

Den dort ebenfalls nachzulesenden Umsatz-, Produktions- und Mitarbeiterzahlen zufolge schrumpft das Freiburger Werk, das nun zur Cerdia-Zentrale in Basel gehört, zwar beständig, was auch an der rückläufigen Zigarettenproduktion liegt. Deshalb braucht es wohl weniger Platz. Es ist aber sehr profitabel, der Standort soll langfristig erhalten bleiben. 2020 hat die Cerdia Produktions GmbH knapp 220 Millionen Euro umgesetzt und im Jahresdurchschnitt 567 Mitarbeiter beschäftigt.

Mehr als 16 Millionen Euro wurden in Freiburg investiert, vor allem in Energie, Sicherheit und Produktionsanlagen. Aktuellere Zahlen liegen bislang nicht vor. Eine Gesprächsanfrage zur Situation des Standorts hat Geschäftsführer Dieter Feldmann abgelehnt.

Flächen nur für Industriebetriebe

Für die FWI war der Kauf der Cerdia-Fläche ein Coup. In der wachsenden Stadt, in der ohnehin wenig Platz für Gewerbe ist, gab es fast gar keine Industrieflächen mehr. „Wir entwickeln die 16 Hektar zu einem hochwertigen Industriepark“, sagt Stoffel. Das industrielle Umfeld soll erhalten bleiben, man will ausdrücklich produzierende Unternehmen ansiedeln, keine Dienstleister, Händler oder Logistiker. Das ist eine der „Vermarktungsrestriktionen“ (Stoffel).

Die andere: Wer sich ein Stück des ehemaligen Rhodiaareals kauft und dort baut, muss die Fernwärme der Chemiefabrik nutzen. Wie es das neue SC-Stadion, das Autohaus Märtin und die Messe Freiburg bereits tun. Denn künftig soll der Nachhaltigkeit halber immer weniger warme, feuchte Abluft das Werk verlassen, der Rhodia-Schnee der Vergangenheit angehören.

Ehe das verkaufte Areal Straßen, Radwege, Kanäle und Leitungen erhalten kann, müssen zunächst die Eidechsen und anderen Tierchen, die sich auf dem Brachland heimisch fühlen, „vergrämt“ werden, wie Fachleute es nennen. Auf einem ersten Teilstück ist dies fast abgeschlossen. Intuitive Surgical, die deutsche Tochter des US-amerikanischen Spezialisten für roboteraussistierte Chirurgiesysteme, hat hier ein etwa drei Hektar großes Gelände gekauft und will Ende des Jahres mit dem Bau seiner neuen Zentrale beginnen.

Einen zweiten Käufer meldete die FWI im Dezember: Der Freiburger Pharmagroßhändler Komtur Pharmaceutical plant auf rund 2,3 Hektar eine arzneimitteltechnische Produktion. Baubeginn soll hier Anfang 2024 sein.

Bleiben circa zehn Hektar, die Fläche von rund 13 Fußballfeldern, für die die FWI noch Käufer sucht. „Interessenten gibt es jede Menge“, sagt Stoffel. Das meiste seien wachsende einheimische Firmen. Bis Ende 2031, so der FWI-Plan, soll die gesamte Entwicklung abgeschlossen sein.

Zehn weitere Hektar sollen verkauft werden

Auf ihrem verbleibenden Werksgelände hat die Cerdia immer noch mehr als genug Platz. Zudem gibt es wohl weitere zehn Hektar, die Cerdia der FWI verkaufen möchte. In dem im Bundesanzeiger veröffentlichten Geschäftsbericht 2020 heißt es: „Es wird angestrebt, Flächen von insgesamt rund 26,5 Hektar an den Käufer zu veräußern.“

Auf den Verkauf der weiteren Teilfläche, der für 2021 geplant war, habe man zunächst verzichtet, weil dort der unter Artenschutz stehende Neuntöter lebt, und die Restfläche stattdessen für drei Jahre an die FWI vermietet. Ein späterer Verkauf der letzten Teilfläche werde weiterhin angestrebt – falls der Vogel umgesiedelt werden kann.

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